Arvo Pärt
Te Deum / Trisagion
© by Martin Hufner 1997
für Wien modern 1997
Einleitung
Es fällt vielen schwer, Arvo Pärts Musik als genuin der neuen Musik
zugehörig anzuerkennen. Dabei ist längst ungeklärt, was denn eigentlich
neue Musik sein soll. Atonalität, Komplexität, Dissoziation gelten den
meisten immer noch als verläßliches Charakteristikum der Zuordnung ins
Feld musikalischer Innovation. Doch die Beschreibung der rein technischen
Fakten genügt nicht. Die Musik Arvo Pärts ist von einem anderen Selbstverständnis
geprägt. Platon soll einmal gesagt haben: Einfachheit in der Musik
macht die Seele vernünftig. Und dieser Satz beschreibt sehr schön
den Geist der Musik Pärts. Nicht um technische Innovation geht es ihm,
nicht um die Arbeit an einem materialistischen Begriff des Fortschritts,
sondern um die Darstellung von Gedanken, die an die Seele gehen. Musikalisch
hat Pärt dabei zu einer eigenen und in dieser Form auch neuen Musiksprache
gefunden, deren Originalität nicht in Zweifel gezogen werden kann.
Auffallend, daß Pärt in letzter Zeit sehr viel geistliche
Musik komponiert hat, sei es Messe, Passion oder andere liturgische
Formen wie ein Magnificat. Und selbst seine instrumentale Musik unterstellt
sich häufig geistlichen Sujets. Es hat den Anschein, als ob er die geistliche
Musik auf ein neues Niveau heben möchte. Nicht soll sie ein artistisches
Artefakt sein, das um seiner selbst bewundert wird, nicht möge sie eine
profane Modernisierung vollziehen wie es beispielsweise bei den Neuen
Geistlichen Liedern der Fall ist. Pärts Musik durchweht ein archaischer
Geist, der die üblen Parasiten der Moderne (Opportunismus, Menschenverachtung,
Narzißmus) verschwinden läßt. Während einige aus den negativen Begleiterscheinungen
der Moderne Konsequenzen zur Theorie einer kritischen Musik
ziehen, verkoppelt Pärt Archaik und Moderne auf verblüffende Weise.
Dabei hat Pärt zu einer eigenständigen Sprache gefunden: keine Anbiederung
an die traditionelle tonale Musik des 18. und 19. Jahrhunderts sondern
eine beinahe jungfräuliche des 20. Jahrhunderts ohne Patina oder Herrschsucht.
Die Stimmung solcher Musik bedarf keiner Erklärung.
Te Deum
für drei Chöre, Klavier, Streicher und Tonband (1984/85, rev. 1992)
Das Te Deum gehört liturgisch zu den ältesten überlieferten musikalischen
Äußerungen der christlichen Zeit. Es ist seiner Funktion nach ein Dank-,
Lob- und Preisgesang. Pärt erinnert an diese alte musikalische Verwendung,
indem er einen Wechselgesang von monophonen und polyphonen Teilen komponiert,
wozu häufig ein Ison genannter Bordun vom Tonband tritt.
Dabei klingen die monophonen Teile zwar nach einer Art gregorianischem
Gesang, sie sind aber nicht aus der Überlieferung geschöpft. Vielmehr
erneuert Pärt auch diesen monophonen Gesang, indem er ihn neu komponiert.
Die Parts des monophonen Gesangs werden dann in den polyphonen Part
regelrecht zerlegt und neu zusammengefügt. Von besonderer Bedeutung
ist dabei die d-moll-Dreiklangszerlegung. Mit ihr setzt der Gesang ein,
der d-moll-Dreiklang ist das zentrale musikalische Element. Allerdings
wendet Pärt hier nicht - wie noch früher in den Instrumentalwerken Fratres
oder Spiegel im Spiegel - ein streng mathematisches System
an, das aus kombinatorischen Kunstgriffen besteht, sondern mischt vielmehr
die musikalischen Elemente nach ihrer semantischen Position.
Ebenso elementar ist Pärts gelegentliche Transformation
nach D-Dur. Dies sind die Momente der Helligkeit und Befreiung, wobei
deren semantische Gewichtung durch die Instrumentierung noch weiter
differenziert wird. Daneben gibt es zwei weitere Stellen, in denen die
Musik ständig zwischen Dur und Moll wechselt. Dennoch sind weite Teile
des halbstündigen Werkes durch die schattenhafte Ernsthaftigkeit des
d-Moll geprägt, was schließlich der Würde des Gesanges unterstreicht.
Trisagion
für Streichorchester (1992, rev. XII/1994)
Die Trisagion, schreibt Pärt, sind eine Gebetsgruppe,
die üblicherweise Einführungsfunktion bei verschiedenen kirchlichen
Handlungen haben. Dem Stück liegt ein kirchenslawisches Gebet
zugrunde, dessen Ende das Vater unser einschließt. Alle
Parameter (Silbenzahl, Wortbetonung, Interpunktion usw.) des beiliegenden
Textes haben in der Komposition eine entscheidende Rolle gespielt,
vermerkt Arvo Pärt in der Partitur. Diese Umsetzung führt nun in diesem
Werk zu einem ständigen Changieren des Metrums, selten haben aufeinanderfolgende
Takte dasselbe Metrum. Zum Sprachcharakter tragen die vielen Zäsuren
bei, die sich als Pausen äußern und nicht selten Registerwechsel trennen.
Trisagion steht in e-Moll und arbeitet ebenso mit den Elementen
Dreiklang, Schritt und Bordun und zeigt sich darin dem Te Deum
ähnlich. Zur Zuspitzung der musikalischen Deutung des Textes dienen
Pärt hier stärker Kontraste in der Lautstärke und in dem Verhältnis
von Polyphonie und Unisono. Für beide Werke ist die Haltung der Zurücknahme
des Subjekts ganz entscheidend. Es gibt nicht jenes komponierende Genie,
das um den Ausdruck seiner eigenen Sprache ringt, sondern den Dienstleister,
dem jeder romantische Ehrgeiz narzißtisch und verwerflich erscheint.
Martin Hufner |