Theodor W. Adorno (1903-1969)
Adorno und die Schönberg-Schule
Wenn man von Theodor W. Adorno im Zusammenhang mit Schönberg spricht,
denkt man gewiß nicht zuerst an den Komponisten, sondern an den Musiktheoretiker,
Verfasser der „Philosophie der neuen Musik« und deren ausführliches
Schönberg-Kapitel. Gleichwohl war Adorno, geboren am 3. September 1903
in Frankfurt a. M., 1925 ein halbes Jahr lang Kompositionsschüler von
Alban Berg; seine große späte Abhandlung zu Alban Berg von 1968 markiert
deutlich seine Anhänglichkeit an diesen Komponisten. So verwundert es
auch nicht, daß sich Adornos Kompositionsstil im größten Teil seines
an sich kleinen Oeuvres weniger an. Schönberg orientiert als an Berg
und Webern sowie in wenigen, dafür aber um so klareren Fällen, an Hanns
Eisler.
Schönberg hat ihn, Adorno, nach einer Notiz aus dem Jahr
1950 „nie leiden können“. Freilich muß die Gegnerschaft Schönbergs schon
aus den ersten Begegnungen herrühren. Das belegt ein Brief Bergs an
Schönberg. Mit Bezug auf Adornos Streichquartettsätze op. 2 heißt es
da:
„Ich finde die Arbeit Wiesengrunds sehr gut und ich glaube,
daß sie auch Deine Zufriedenheit finden wird, wenn Du sie einmal kennen
lernen wolltest. Jedenfalls ist es in seinem Ernst, seiner Knappheit
und vor allem in der unbedingten Reinlichkeit seiner Faktur würdig,
als zur Schule Schönbergs (und nirgends anders hin!) gehörig bezeichnet
zu werden. Adorno erwiderte dessen Unbehagen gegen ihn allerdings nicht.
Schönberg blieb ihm auch nach dessen Tod die zentrale musikalische Figur
des 20. Jahrhunderts.
Mit Hanns Eisler verband Adorno die im amerikanischen Exil angefertigte
Arbeit an dem umfangreichen Buchprojekt Komposition
für den Film (1944). Einige Kinderreime aus einer Frankfurter
Anthologie von Karl Werhan bildete die gleiche Fundgrube für Liedkompositionen
wie für Eislers Zeitungsausschnitte. Adorno stand sogar
einmal in engstem Kontakt zu Bertolt Brecht, so daß er Texte von ihm
als „Zwei Propagandagedichte (1945) vertonte.
Näheren Kontakt pflegte er zu Ernst Krenek der - wie Adorno
- von der engeren Schönberg-Schule als Outsider traktiert wurde. Mit
ihm besprach Adorno ausführlich alle Probleme der Neuen Musik. Schließlich
soll Adorno auch ein vorzüglicher Pianist gewesen sein, den eine enge
Freundschaft mit den beiden Schönberg-Interpreten Rudolf Kolisch und
Eduard Steuermann bei dem er Klavier studierte, verband. Mit Rudolf
Kolisch zusammen wollte er eine „Theorie der musikalischen Reproduktion
verfassen. Diese Zusammenarbeit kam leider nicht zustande, die Schrift
blieb Fragment. Adorno starb am 6. August 1969 nach einem Herzinfarkt.
Eine nachdrückliche Wirkung jedoch entfaltet Adorno zur
Zeit in der Philosophie und Soziologie. Mit seiner „Negativen Dialektik
(1966) und der Fragment gebliebenen „Ästhetischen Theorie (1970
posthum erschienen) , setzte er Maßstäbe für ein selbstbewußtes, diesseitiges
und gleichwohl kritisches Denken.
Noch bevor Adorno in engeren Kontakt zur Schönberg-Schule trat, komponierte
er 1923 drei Gedichte Von Theodor Däubler für vierstimmigen Frauenchor.
Diese Fassung verschwand für lange Zeit in der Schublade, ehe Adorno
1945 die Stücke überarbeitete und Ernst Krenek widmete. Dabei hat Adorno
hauptsächlich die harmonische Dimension einer Überarbeitung unterzogen.
Ganz merkwürdig ist die Textwahl: denn die Däublersche Lyrik läßt bei
aller Zartheit auf der Oberfläche eine inhaltlich weiterführende Substanz
vermissen. Es sind Texte aus einer schon damals fremdgewordenen Welt.
Vielleicht war Adorno von der künstlich-kindlichen Naivität der Däublerschen
Lyrik angetan. 1945 artikulierte sich ihm darüber hinaus möglicherweise
die Sehnsucht des Emigranten nach einer verlorenen Vorvergangenheit.
Das erste Stück, „Dämmerung, lebt ganz vom harmonischen
Zwielicht, das durch die Verwendung von Querständen hervorgerufen wird.
Formal handelt es sich um ein dreifaches Crescendo, das immer jäh abbricht
und atemlos in einen neuen Vers mündet. Alle Bewegungen zielen dann
darauf ab, den Schlußvers in seiner imperativ die Resignation vertreibenden
Bedeutung zu intonieren: „Du sollst nicht immer traurig sein.
In den beiden nachfolgenden Stücken, „Winter und „Oft, ist
die Lyrik beinahe eins-zu-eins musikalisch in den einzelnen Stimmen
abgebildet. Entscheidende Stellen werden homophon deklamiert. Präzise
ist die Artikulation an allen Punkten vermerkt. Daneben gilt jedoch
für das Verhältnis der Stimmen zueinander das Prinzip der ungefähren
Wiederholung, so daß sich die Stücke langsam aber stetig durch das Melos
hindurch verändern.
Adorno, den man immer sehr schnell und eilfertig zum Apologeten Schönberg-Schule
stempelt, hat sich selbst nie in diesem Maße musikalisch eingrenzen
lassen. Er hegte eine ausgeprägte Vorliebe für die zeitgenössische französische
Musik: Debussy, Satie, vor allem aber Maurice Ravel. Die „Sept Chansons
Populaires Françaises - Liebes- und Revolutionslieder - arrangierte
Adorno 1925-1928 mit leichter Hand. Dabei bringt er harmonische Wendungen
unter, die von zauberhafter und eleganter Klanglichkeit sind. Dazu gehören
einmal jene Akkorde, die durch das Aufschichten von Terzintervallen
entstehen. Insbesondere Sept/Non/Undezim/Tredezim-Akkorde, als Vorhalt
gebracht, sind typisch für eine bestimmte französische Klangkultur wie
sie hier benutzt wird („Fais Dodo Colas oder vor dem Abgesang
von „Au Clair de la Lune). In „Aupres de ma Blonde setzt
der Refrain mit parallel geführten Akkorden des Klaviers ein, sogenannten
Mixturen. Diese Stilmittel - neben anderen wie z. B. ausgedehnten und
leicht verdeckten Quintschrittsequenzen - verleihen der Musik einen
„schwebenden Charakter. Gleichwohl kennen diese Arrangements Adornos
auch den barscheren revolutionären Tonfall wie in „Le Joli Tambour
und „Ah! Ça lra! oder den leicht verschmitzt scherzenden „J'ai
du Bon Tabac.
Martin Hufner |