Adorno und die Zwölftontechnik
Adornos kompositorische und theoretische Auseinandersetzung mit der
Zwölftontechnik
Adorno und die Zwölftontechnik, Regensburg
1996,
208 Seiten, 17 x 24 cm, zahlreiche Notenbeispiele
(ConBrio Verlagsgesellschaft, Bestellnummer CB 1074,
ISBN 3-930079-74-7, Buchhandelspreis DM 49,-) |
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Einleitung
Zu Adornos Musikphilosophie liegen bedeutende und umfangreiche systematisch
angelegte Studien vor, die hauptsächlich um die "Philosophie der
neuen Musik" und/oder die "Ästhetische Theorie" zentriert
sind 1. Bisher haben Adornos
Ästhetik, Musikphilosophie und Musiksoziologie den musikwissenschaftlichen
Ehrgeiz sehr viel stärker herausgefordert als konkrete musikgeschichtliche
Probleme. Dabei sind Adornos Untersuchungen zur musikalischen Technik
und zu einzelnen Komponisten umfangreich und bilden die Grundlage, auf
der musikphilosophische Probleme und Fragen der Ästhetik allgemein behandelt
werden. So stellt Albrecht Riethmüller fest, daß Adorno "in der
Musikwissenschaft - wenigstens in der westdeutschen - ein zwar vielzitierter,
aber merkwürdig selten ausführlich und gründlich behandelter Autor geblieben"
ist (Riethmüller 1990, 7).
Man wird vielleicht mit Verwunderung feststellen, daß
sich bisher nur wenige musikwissenschaftlichen Untersuchungen zu Adornos
Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik und -musik (weder zur theoretischen
noch zur kompositorischen) finden lassen. Erstaunlich ist dies deshalb,
weil die Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik und -musik eine
herausragende Stellung in Adornos gesamter Auseinandersetzung mit Musik
einnimmt2 und, was in dieser
Arbeit auch gezeigt werden soll, seine musikästhetische Perspektive
mitbestimmt haben dürfte.
Es könnte sein, daß die Adorno-Rezeption der siebziger
und achtziger Jahre mit ihren generalisierenden Bestimmungen die konkrete
Gestalt der Adornoschen Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik verdeckt
hat. Clytus Gottwald z. B. schreibt: "Die Dodekaphonie
mit all ihrer fleißigen Versenkung ins technische Verfahren, war ihm,
Adorno, von Resignation beschlagen" (Gottwald 1973, 40); ähnlich
Dieter Schnebel: "Die Zwölftontechnik war ihm
unwichtig" (Schnebel 1979, 18). Später wird Adorno als "Kritiker
der Zwölftontechnik" (vgl. Danuser 1984, 137 und Kinzler 1987)
bezeichnet und Siegfried Schibli macht aus ihm einen
"erklärte[n] Zwölfton-Gegner" (Schibli 1988, 16).
Daß Adorno komponiert hat, wurde mittlerweile registriert.
Seine Kompositionen sind aber für die folgende Untersuchung nicht deshalb
interessant, "weil Theodor W. Adorno es war, der
sie verfaßte" (Riethmüller 1990, 26), sondern weil sich in Adornos
Kompositionen zahlreiche Bezüge zur Zwölftontechnik Schönbergs
ausmachen lassen. Das Spektrum der Kompositionen, die unter diesem Aspekt
für diese Untersuchung von Bedeutung sind, umfaßt 19 Einzelstücke3
aus der Gruppe der von Adorno zur Publikation vorgesehenen Werke und
umspannt die Jahre 19254
(das ist das Jahr, in der die ersten Zwölftonkompositionen Schönbergs
erschienen) bis 1944. Die für diese Untersuchung ausgewählten neun Kompositionen
werden nur daraufhin analysiert, welche Funktion Zwölftontechnik in
ihnen einnimmt und in welcher Relation die Kompositionen zur Theoriebildung
stehen5. Wann immer man
sich bisher in der Literatur mit Adornos Kompositionen auseinandersetzte6,
blieben die historischen Dimensionen und der Umfang der Auseinandersetzung
mit der Zwölftontechnik unbetrachtet. Daß man darauf bisher nicht aufmerksam
wurde, mag wieder der bisherigen Adorno-Rezeption zu danken sein: Schnebel
fand in Adornos Werken "etwas Nostalgisches" (Schnebel 1970,
468; Schnebel 1989, 232); Gottwald nannte Adorno einen "konservativen
Komponisten" (Gottwald 1973, 40). Wenn diese Äußerungen verständlich
sind gegenüber den Werken, die Schnebel und Gottwald analysierten, so
ist Schiblis Meinung, "daß ein Musiker vom Format Adornos sich
der alleinseligmachenden Reihentechnik" verschlossen habe (Schibli
1988, 18), sachlich falsch. Andere Gründe dafür, daß Adornos umfangreiche
kompositorische Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik bislang kaum
aufgefallen ist, liegen einerseits in der Kompositionstechnik selbst
und möglicherweise auch in der teilweise fehlerhaften Edition der Kompositionen
in der "Edition Text und Kritik" (K1; K2).
Das Ziel dieser Arbeit ist es, Adornos kompositorische
und theoretische Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik, weitgehend
unabhängig von soziologischen und philosophischen Fragestellungen7,
zur Darstellung zu bringen. Das heißt: Darstellung der Beziehungen zwischen
eigener Kompositionspraxis, theoretischer Deutung fremder Werke und
ästhetischer Auffassung kompositionstechnischer Probleme in chronologischer
Entwicklung, denn Adornos kompositorische und theoretische Auseinandersetzung
mit der Zwölftontechnik war stets differenziert und vor allem historisch
differenziert. Um die unterschiedlichen Interpretationsansätze der Zwölftontechnik
bei Adorno aufdecken zu können, ist es deshalb unerläßlich, die theoretischen
Texte in chronologischer Folge neu zu lesen8
und mit den im gleichen Zeitraum entstandenen Kompositionen zu konfrontieren9.
Damit bewegt sich die vorliegende Untersuchung in erster Linie im Koordinatensystem
des Adornoschen Denkens. Das schließt Kritik an Adorno nicht aus, insofern
Adornos selbstkritische Bewegung nicht explizit oder ungenügend in eigenen
Texten zum Ausdruck kommt.
Nur mit den Mitteln der chronologischen Darstellung entgeht
man Widersprüchen in Adornos Begriffsbildung, die entstehen, wenn man
ältere und jüngere Texte vermischt10.
Adorno hat dieses Verfahren in der Dokumentation der Auseinandersetzung
mit Paul Hindemith selbst praktiziert. Er schreibt
dort, daß "er das jeweils ihm erreichbare Resultat dessen zu geben
[pflegt], was er denkt, nicht den Prozeß, der es dahin brachte. (...)
Doch kann er sich nicht verhehlen, daß manche seiner Leser die Resultate
appropriieren, ohne den meist selbstkritischen Prozeß mitzuvollziehen:
Dogmatismus ist leicht die Folge. Dem möchte er ein wenig entgegenarbeiten,
indem er an den zeitlich voneinander entfernten Texten verschiedene
Stufen der begrifflichen Bewegung sichtbar werden läßt, zu der ein bestimmter
Gegenstand ihn nötigt" (1967b, 210 f.).
Man kann verschiedene Stadien der kompositorischen und
theoretischen Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik bei Adorno
unterscheiden. Die angegebenen Zeiträume sind idealtypische historische
Konstruktionen. Sie sollen keinesfalls suggerieren, daß Adornos kompositorische
und theoretische Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik ruckartig
vonstatten gegangen ist und keine inneren Entwicklungen kennt. Die angegebenen
Abschnitte dienen als Hypothesen und lassen sich erst im Verlauf der
Arbeit rechtfertigen:
1920 bis 1925 - Kapitel I
Adornos frühe Auseinandersetzung mit Musik nimmt ihren Ausgangspunkt
in seiner Kritik des literarischen Expressionismus. Sie ist eingebettet
in die geistesgeschichtlichen Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts.
Es wird Adornos Art des Sprechens und Denkens über Musik in den Jahren
1920 bis 1925 herausgearbeitet, auch wenn in dieser Zeit Zwölftontechnik
kein Thema für ihn darstellen konnte, weil die ersten Zwölftonkompositionen
erst 1925 veröffentlicht wurden.
1925 bis 1934 - Kapitel II
Ausgegangen wird von Adornos kompositorischer Auseinandersetzung mit
der Zwölftontechnik in den Jahren 1925/26. Daran anschließend werden
die ab 1927 enstandenen theoretischen Texte zur Zwölftontechnik analysiert.
Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik läßt sich
allerdings erst ab 1927 erkennen. Ein relativ konsistentes Bild der
frühen theoretischen Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik reicht
bis ins Jahr 1934. In einem dritten Abschnitt werden Kompositionen betrachtet,
die unter dem Einfluß der theoretischen Auseinandersetzung bis 1934
stehen. Die theoretischen Texte dieser Zeit lassen sich stichwortartig
als Apologie der Zwölftontechnik kennzeichnen.
1934 bis 1948 - Kapitel III
Das Zentrum von Adornos theoretischer Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik
bildet das Schönberg-Kapitel der "Philosophie der neuen Musik".
Dessen Entstehungszeitraum (1940/41) umgeben neue Kompositionen Adornos.
Es wird daher eine Komposition analysiert, die vor der Entstehung des
Schönberg-Kapitels, und eine weitere, die nach Abschluß des Schönberg-Kapitels
komponiert wurde. Texte und Kompositionen lassen sich als Kritik der
Zwölftontechnik auffassen.
1949 bis 1969 - Kapitel IV
Adornos Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik seit 1950 ist gekennzeichnet
durch das Weiterdenken der "Philosophie der neuen Musik".
Dabei kommt es zu Korrekturen und Ergänzungen der älteren Einschätzung.
Ins Zentrum der Auseinandersetzung mit neuer Musik rücken jetzt neue
Kompositionstechniken wie Aleatorik und Serialismus. Für Adornos Auseinandersetzung
mit der Zwölftontechnik ist allerdings nur die Rezeption der seriellen
Musik bedeutsam. Im Zusammenhang mit der Kritik der seriellen Musik
und Technik verändert sich Adornos Bild der Zwölftontechnik erneut:
es wird retrospektiv und historisierend. Eine kompositorische Auseinandersetzung
Adornos mit der Zwölftontechnik findet nicht mehr statt. Im Anhang werden
die verschiedenen Reihen, die sich in Adornos Werk finden lassen, zusammengestellt.
Zweitens sind hier Fehlerlisten zu fünf analysierten Kompositionen erstellt
worden.
- Zum Beispiel: Zenck 1977, La
Fontaine 1979, Sziborsky 1979.
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- Die Aufsätze von Heinz Kinzler (Kinzler 1987) und
Gieselher Schubert (Schubert 1989) sowie ein Exkurs
in einer Arbeit über Krenek von Claudia Maurer-Zenck
(vgl. Maurer-Zenck 1980, 70 ff.) stellen die einzigen Ausnahmen dar.
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- Vgl. dazu Anhang, Adornos Reihen. Zurück
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- Vorgreifend ist anzumerken, daß Adornos kompositorische
Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik vor seiner theoretischen
ansetzt. Zurück in den Text!
- Es wird nicht gezeigt, ob Adorno ein großer, kleiner
oder mittelmäßiger Komponist gewesen sei. Zurück in den
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- Vgl. Leibowitz 1963; Schnebel
1970, 1979, 1989; Gottwald 1973; Spahlinger 1983,
1984; Stephan 1984; Oesch 1986;
Kinzler 1987; Schibli 1988; Schubert 1989; Mauser
1989; Böttinger 1989; Levin 1989;
Fink 1989; Schneider 1989. Zurück
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- Diese Fragen werden nur dann diskutiert, wenn sich
den philosophischen Texten Informationen entnehmen lassen, ohne die
konkrete Probleme nicht zu klären sind - was besonders für die Analyse
der "Philosophie der neuen Musik" gelten dürfte, die Adorno
als einen "ausgeführte[n] Exkurs zur 'Dialektik der Aufklärung'"
auffaßte (PnM, 11). Zurück in den Text!
- Helmut Dubiel hat die Notwendigkeit und Ergiebigkeit
dieses Verfahrens für die Entwicklung der "Kritischen Theorie"
in den Jahren 1930 bis 1945 vorgeführt (vgl. Dubiel 1978). Zurück
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- Daß es eine Verbindung zwischen Adornos Musiktheorie
und seinem kompositorischen Schaffen geben könnte, vermutet Peter
Cahn. Er sagt: Adorno "selbst hat den Zwiespalt zwischen
Fortschritt in der Materialbeherrschung und Verlust an Freiheit des
Komponisten, konkret zwischen strenger Dodekaphonie und freier Atonalität,
auch als Komponist ausgetragen" (Cahn 1980, 202). Zurück
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- Wenn man hingegen mit den späten Texten Adornos
die früheren Kompositionen kritisiert, wie es Siegfried Mauser (Mauser
1989) an den Klavierliedern vorführt, zeigen sich Widersprüche, die
nicht vornehmlich Adorno anzulasten sind, sondern der ahistorischen
Methode. Zurück in den Text!
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